System Adequacy Studie: «Für die Versorgungssicherheit müssen viele Elemente zusammenspielen»

Die Frage nach der Versorgungssicherheit beschäftigt den Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE stark. Im Sommer forderte der Verband eine sachliche Einschätzung des Themas. Das heisst: Eine Beurteilung, die alle kritischen Elemente im Fokus hat und von realistischen Referenzszenarien ausgeht.
06.02.2020

Kürzlich hat das Bundesamt für Energie nun die Aktualisierung seiner «System Adequacy Studie» publiziert. Wir haben Nadine Brauchli, Bereichsleiterin Energie beim VSE, gefragt, wie sie die Aussagen des BFE einordnet.

Grundsätzlich bleibt es in der System Adequacy bei der Aussage: die Versorgungssicherheit sei bis 2035 gewährleistet. Der VSE hat das in der Vergangenheit anders gesehen.

Ja, und wir haben auch weiterhin Vorbehalte, vor allem was die Versorgung im Winter betrifft und wenn man die Frage im Kontext der Entwicklung in unseren Nachbarländern sowie des weiterhin fehlenden Stromabkommens betrachtet. Der Fokus dieser theoretischen Studie liegt auf 2040, operative oder betriebliche Herausforderungen bis zu diesem Zeitpunkt, wie das Fehlen eines Stromabkommens oder die mangelnde Akzeptanz beim Ausbau der erneuerbaren Energien, werden nicht berücksichtigt. Die Krux jeder Studie ist zudem auch, dass sich die Realität rasch verändert und Analysen von dieser oft überholt werden.

Die Annahmen wurden für die Überarbeitung der System Adequacy Studie angepasst. Sind sie aus Sicht VSE jetzt realistischer?

Man ist sicher näher an der Realität, wenn Faktoren berücksichtigt werden wie der Kohleausstieg in Deutschland, der Teilausstieg Frankreichs aus der Atomenergie, die Situation in den Nachbarländern unserer Nachbarländer oder Verzögerungen beim Leitungsbau von 10 Jahren. Trotzdem gibt es Faktoren, die einen sehr grossen Einfluss auf die Versorgungssicherheit haben, die nicht berücksichtigt sind. Die Studie geht weiterhin davon aus, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien planmässig umgesetzt wird. Ebenfalls geht sie auch weiterhin davon aus, dass ein Stromabkommen zustande kommt. Das schätzen wir beides als zu optimistisch ein. Weiter kommt dazu, dass das brandaktuelle und folgenschwere Thema Klima, das Netto-Null-Ziel des Bundesrats und der «Green Deal» der EU, die unter anderem zu einer starken Elektrifizierung führen werden, noch nicht berücksichtigt sind.

Inwiefern ist das Stromabkommen wichtig als Kriterium für die Versorgungssicherheit?

Zum einen nehmen die ungeplanten Lastflüsse durch die Schweiz zu, was die Netzstabilität beeinträchtigt. Um die Stabilität sicherzustellen wiederum, wird wertvolle Wasserkraft gebraucht, die dann insbesondere im Winter fehlt. Zum anderen könnten künftig unsere Grenzkapazitäten begrenzt werden, wenn die EU-Nachbarländer bei der neu eingeführten 70%-Regel (70% der Netzelemente eines Landes müssen dem Markt zur Verfügung gestellt werden) die Schweiz nicht als Teil des Marktes einrechnen dürfen. Dies könnte die Importmöglichkeiten stark verschlechtern. Es ist zentral, dass die Auswirkungen dieser Entwicklung analysiert und beurteilt werden. Wir begrüssen deshalb, dass das auch in der Motion 19.3004, die im Parlament angenommen wurde, so gefordert wird.

Die Motion 19.3004 beauftragt den Bundesrat, konkrete Massnahmen zur Versorgungssicherheit vorzuschlagen. Was erwartet der VSE jetzt vom Bundesrat?

Die System Adequacy Studie geht von einem Ausbau und Bestandserhalt der erneuerbaren Energien aus, wie ihn die Energiestrategie 2050 vorsieht. Das ist eine wichtige Säule für die Versorgungssicherheit – aber aufgrund der Marktrealität ist diese nicht ohne Weiteres sichergestellt. Wir begrüssen deshalb die Absicht des Bundesrates, mit einer Weiterführung der Förderung im Energiegesetz mehr Planungssicherheit und Anreize für langfristige Investitionen zu schaffen. Bisher hatte er sich in der Revision des StromVG ja vor allem auf die gezielte Überbrückung temporärer Versorgungssicherheitsprobleme mit einer Speicherreserve fokussiert. Ob letztlich eine angemessene erneuerbare Produktion im Inland sichergestellt werden kann, wird noch zu beurteilen sein. Die genaue Ausgestaltung der Förderung ist ja noch nicht bekannt. Die Weiterführung der Förderung der erneuerbaren Energie allein reicht zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit jedoch nicht aus. Wie erwähnt, muss für eine gute Versorgungssicherheit ein ganzer Strauss von Elementen zusammenspielen. Daran müssen wir gemeinsam weiterarbeiten.