Stromkongress 2019: Die Schweiz spielt vorläufig nur Minigolf

Am 13. Schweizerischen Stromkongress in Bern trafen sich Vertreter der Energiebranche, der Wirtschaft und der Wissenschaft, um sich über aktuelle Entwicklungen in der Branche zu informieren und diese zu diskutieren. Die dominierenden Themen am Kongress waren eine sichere Stromversorgung, die vollständige Öffnung des Schweizer Strommarkts sowie das Rahmen- und das Stromabkommen mit der EU.

18.01.2019

«Wenn Sie Mitglied eines Golfclubs werden möchten, müssen Sie die Regeln dieses Golfclubs akzeptieren. Tun Sie das nicht, wird man Sie am Eingang freundlich abweisen.» Michael Matthiessen, Botschafter der EU für die Schweiz und das Fürstentum Liechtenstein, vermittelte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Stromkongresses die Haltung der EU zum institutionellen Rahmenabkommen ebenso eloquent wie unmissverständlich. Darüber täuschte auch der Pin am Diplomaten-Revers, der eine EU- sowie eine Schweizer Flagge vereinte, nicht hinweg. Auf dem Verhandlungstisch liege ein guter Vorschlag, welcher der Schweiz die einzigartige Möglichkeit eröffne, Zugang zum EU-Markt zu erhalten, führte Michael Matthiessen aus. «Aus Sicht der EU sind die Verhandlungen abgeschlossen.» Die EU habe bereits viele Schritte auf die Schweiz zu gemacht, und nun liege ein guter Kompromiss vor. «2019 ist ein Schlüsseljahr für die Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz, welche die EU nicht bloss als Nachbarn, sondern als engen Partner betrachtet.»  

Einleitend hatte Michael Wider, Präsident des Verbandes Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE, die grossen Themen, welche die Strombranche derzeit und in Zukunft beschäftigen werden, erläutert. Neben der Digitalisierung, von der sich Michael Wider flexiblere und variablere Produkte verspricht, werde auch der Klimawandel im Fokus stehen. «Hier startet die Schweiz aus der ersten Reihe. Nur ganz wenige Staaten verfügen über einen ähnlich hohen Anteil CO2-freier Energieproduktion wie die Schweiz.» Das sei eine vortreffliche Ausgangslage für Spagatübungen, wie beispielsweise das Klimaabkommen von Paris. Nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen europäischen Ländern wird hingegen die Versorgungssicherheit kritisch beurteilt. Trotz dezentraler Stromproduktion blieben die gesicherten grossen Strominfrastrukturen noch während mehrerer Jahrzehnte unentbehrlich, erläuterte Michael Wider. Der VSE-Präsident erklärte ausserdem, dass der Verband gerne bereit sei, das Thema Stromabkommen – falls gewünscht – mit dem Bundesrat zu diskutieren. Das Stromabkommen mit der EU schaffe nämlich eine solide Basis für die internationale Zusammenarbeit. «Nicht nur, weil die Schweiz seit 1957 physikalisch in Europa eingebunden ist, und es zunehmend schwierig und teuer wird, die Netzstabilität sicherzustellen, sondern auch, weil sich jetzt die finanziellen Auswirkungen eines fehlenden Abkommens auf den Stromhandel deutlich zeigen.

Yves Zumwald, CEO der Schweizer Übertragungsnetzgesellschaft Swissgrid, stiess punkto Stromabkommen in das gleiche Horn wie Michael Wider: «Wenn die Sonne scheint, ist alles wunderbar mit der EU und der Entso-E. Wenn es aber zu wenig Strom hat, schaut Entso-E natürlich zuerst für sich.» Die Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg schaffe die nötige Basis für stabile Netze in Europa und in der Schweiz. Das Stromabkommen – und damit das Rahmenabkommen – mit der EU seien daher unbedingt anzustreben, um die Versorgungssicherheit auch in Zukunft gewährleisten zu können.   

Insights vom Stromkongress 2019

Benoît Revaz, Direktor des Bundesamtes für Energie BFE, zeigte die Vorteile eines vollständig liberalisierten Strommarkts auf. Neben der Wahlfreiheit für Kunden biete eine komplette Marktöffnung auch erhöhte Transparenz und verbesserte Integrationsmöglichkeiten für erneuerbare Energien. «Die vollständige Marktöffnung ermöglicht ausserdem neue Geschäftsmodelle mit innovativen Dienstleistungen und Produkten. Ausserdem ist es nur fair, wenn alle Marktteilnehmer gleich behandelt werden.» Zu guter Letzt schlug auch der BFE-Direktor den Bogen zum Stromabkommen: «Die Marktöffnung ist eine Vorbereitung für die Beziehung der Schweiz zu ihren Nachbarn und zur EU.»  

Roger Nordmann, Martin Bäumle, Reto Brennwald, Werner Luginbühl, Damian Müller
Roger Nordmann (Nationalrat SP/VD), Martin Bäumle (Nationalrat GLP/ZH), Reto Brennwald (Moderator), Werner Luginbühl (Ständerat BDP/BE), Damian Müller (Ständerat FDP/LU) (v. l.).

Klare Positionen auf dem Polit-Podium

Unter der Leitung von Moderator Reto Brennwald bestritten die Nationalräte Roger Nordmann (SP/VD) und Martin Bäumle (GLP/ZH) sowie die Ständeräte Werner Luginbühl (BDP/BE) und Damian Müller (FDP/LU) ein politisches Streitgespräch. Als Mitglieder der jeweiligen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie UREK vertraten die vier Bundesparlamentarier dezidierte Meinungen unter anderem zum Strommarktabkommen oder zur Marktöffnung. Roger Nordmann beispielsweise hält die vollständige Strommarktliberalisierung schlicht für «absurd», denn «die Marktöffnung bringt noch mehr Unsicherheit, was schliesslich noch weniger Investitionen in die Infrastruktur zur Folge haben wird». Werner Luginbühl hingegen betrachtet die Marktöffnung – obwohl er sich selbst nicht als Liberalisierungseuphoriker bezeichnet – als notwendig, um ein Stromabkommen zu erreichen. «Über die konkrete Ausgestaltung werden wir uns aber noch lange unterhalten.»

Auf die Frage Reto Brennwalds, ob das Desaster, welches sich tags zuvor mit der Ablehnung des Brexit-Deals in London ereignet hatte, die Verhandlungsposition der Schweiz mit der EU verbessert habe, entgegnete Damian Müller, dass die Schweiz nicht mit Grossbritannien, sondern mit der EU am Verhandlungstisch sitze. «Das Beispiel Grossbritannien zeigt vielmehr, wohin nationale Abschottungs-Strömungen führen.» Martin Bäumle schliesslich hält das vorliegende Abkommen für einen guten Vorschlag. «Wenn wir jetzt nein sagen, werden wir in ein paar Jahren jammern und lamentieren, dass wir dieses Abkommen doch hätten annehmen sollen, weil nun alles noch viel schlechter sei.» Die Meinungen, ob die Schweiz künftig auf dem grossen Green mittun oder lieber Minigolf spielen will, liegen augenscheinlich noch sehr weit auseinander. 

National- und Ständeräte zu den energiepolitischen Challenges