Gastreferat von Ständerat W. Luginbühl an der GV 2019

Der VSE hatte an der Generalversammlung 2019 auch die Ehre, den BDP-Ständerat Werner Luginbühl als Gastreferenten zu begrüssen. In seinem Referat legte er dar, dass sich die Schweiz nach dem Prinzip Vorsicht um ihre Versorgungssicherheit kümmern sollte – nicht nach dem Prinzip Hoffnung.
15.05.2019

((Originaltext))

Vielen Dank für die Einladung an die heutige GV. Ich freue mich, Ihnen die Grüsse und guten Wünsche der kantonal-bernischen Behörden überbringen zu dürfen.

Ich habe vor längerer Zeit relativ spontan zugesagt, heute hier ein Referat zu halten – und ich habe es später ordentlich bereut.

Zwar befasse ich mich seit 7 ½ Jahren als Mitglied der UREK-S auch mit Energiepolitik. Seit 6 Jahren bin ich ausserdem Präsident der Kraftwerke Oberhasli AG. Nichtsdestotrotz betrachte ich mich, vor allem wenn ich mich mit Ihnen als Profis aus der Branche vergleiche, höchstens als fortgeschrittenen Laien.

Und da fragst du dich dann bei der Vorbereitung eines Referates natürlich: «Was willst du denen um Himmels willen erzählen, was sie nicht schon längst wissen oder viel besser wissen als du?».

Bevor ich in Panik geraten bin, ist mir dann ein Satz in den Sinn gekommen, den ich die letzten Jahre von Vertretern der Energiebranche immer wieder gehört habe: «Von der Politik erwarten wir gar nichts». So habe ich mir gesagt «wenn man nichts von dir erwartet, ist es quasi unmöglich die Erwartungen zu unterbieten»…und mich fröhlich an die Sache gemacht!

Ich werde im Herbst nicht mehr zu den Wahlen antreten. Auch wenn man von mir und meinesgleichen nichts erwartet, habe ich gerne Energiepolitik gemacht. Wenn es nur die Energiepolitik gäbe, hätte ich wohl noch einmal kandidiert. Aber es gibt eben auch andere Bereiche, die ich weniger vermissen werde.

Meine Ausführungen werden daher einige bilanzartige Elemente enthalten.

Ich weiss, dass es hier im Saal und ausserhalb Leute gibt, die mit der ES2050 wenig anfangen können. Ich weiss auch, dass viele, jene die Energiepolitik machen, ins Pfefferland wünschen.

Henusode, jedes Volk hat die Politiker, die es verdient.

Es gab zwischendurch auch Zeiten, da hätte ich mir eine andere Branche gewünscht. Ich hätte mir gewünscht, dass etwas einheitlicher Positionen vertreten worden wären. Das hätte es uns erleichtert, eine bessere Politik zu machen.

Es gab Zeiten, da hätte ich mir etwas mehr Konsequenz gewünscht. Weniger Subventionen im Allgemeinem ablehnen und hinter dem Rücken die hohle Hand machen…..!

Henusode, die Energiepolitik hat die Energiebranche, die sie verdient…..!

Man mag den Atomausstieg in einer Zeit, in der der Klimaschutz in fast aller Munde ist, als einen Fehler bezeichnen.

Man mag der ES2050 entweder vorwerfen, sie sei halbherzig oder vermöge ihre Versprechen bei weitem nicht zu erfüllen.

Das kann man – und ein Teil der Kritik ist auch berechtigt. Allerdings muss ich die Gegenfrage stellen: «Hätte es echte Alternativen gegeben?».

Ich habe mich im Jahr 2011 in einer Konsultativabstimmung im Kanton Bern für den Bau eines neuen AKW eingesetzt. Eines meiner Argumente war der Klimaschutz. Das war ein Vierteljahrhundert nach Tschernobyl. Diese Abstimmung gewannen wir nach aufwändigem Abstimmungskampf mit gerade mal 51.2% JA-Stimmen.

Exakt einen Monat später passierte Fukushima. Und dort wird es noch viele, viele Jahre aufzuräumen geben. Und wer glaubt, im wohl einzigen Land der Welt, in dem das Volk über Atomkraftwerke abstimmt, eine Abstimmung mit diesen Bildern vor Augen gewinnen zu können, dem sage ich: «Träum ruhig weiter».

In der Zwischenzeit ist auch klar, dass uns potenzielle Investoren für AKW nicht gerade die Türen einrennen. Und immerhin ist die Schweizer Politik in dieser Frage etwas intelligenter vorgegangen als die deutsche, wo bald moderne und vergleichsweise sichere AKWs vom Netz gehen.

Meine Damen und Herren, ist man einmal zum Schluss gelangt, dass es wohl keine Alternative zum Ausstieg gibt, braucht es wohl im Mindesten Überlegungen, die aufzeigen, wie man die Versorgung ohne AKW sicherstellen will.

Zugegebenermassen, mag man etwas viele Wunschvorstellungen in die ES2050 reingepackt haben. Es ist wohl auch so, dass die ES2050 verschiedene wichtige Themen nicht oder unvollständig angegangen ist.

Das ändert aber nichts daran, dass die grobe Richtung in etwa stimmt – und es ändert auch nichts daran, dass man sich, wenn man nicht mehr zurück kann, irgendwann auf den Weg nach vorne machen muss.

Nichtsdestotrotz, meine Damen und Herren, wenn ich die jüngsten Entwicklungen und Perspektiven betrachte, gibt es Einiges, das mir Sorge bereitet.

Das Bundesamt für Energie (BFE) hat sich dem Thema Versorgungssicherheit angenommen. Die im Auftrag des BFE erstellten Studien zur Versorgungssicherheit kamen 2017 zum Schluss, dass bis 2035 «keine signifikanten Versorgungsengpässe» zu erwarten sind.

Auf diesen Annahmen beruht auch das StromVG, das der Bundesrat Ende 2018 in die Vernehmlassung geschickt hat. Der Entwurf setzt die vollständige Marktöffnung voraus, geht von einer Integration der Schweiz in den EU-Strommarkt aus und will die Einführung einer sogenannten strategischen Reserve prüfen.

Unsere Schwesterkommission, die  UREK-N, hat diesen Kurs mit zwei Kommissionsmotionen vollumfänglich gestützt.

Die ständerätliche UREK hat schon vorher die Kommissionsmotion «Investitionsanreize für den langfristigen Erhalt der Schweizer Wasserkraft» überwiesen. Darin wurde ein Problem adressiert, das aus Sicht der Kommission vom BFE und vom Bundesrat zu wenig beachtet wird, nämlich die Frage, wie die verbleibende Produktionskapazität langfristig gesichert werden kann.

Der Vorstoss ist in der Zwischenzeit in beiden Räten durch, konnte aber aus zeitlichen Gründen im StromVG nicht mehr berücksichtigt werden. Hier erwarten wir Nachbesserungen.

Das noch grössere Problem ist aber aus Sicht der UREK-S die Netzstabilität, die Versorgungssicherheit und die Frage der klaren Verantwortlichkeiten für die Versorgungssicherheit.

Wir wissen, dass wir mit der schrittweisen Ausserbetriebnahme der AKW deutlich mehr Strom importieren müssen. Das funktioniert dann reibungslos, wenn

  1. Wir die vollständige Strommarktliberalisierung hinkriegen,
  2. Ein Strommarktabkommen mit der EU abschliessen können
  3. Andere Länder – auch in der kritischen Phase – genügend Strom exportieren können.

Keine dieser Voraussetzung ist aus heutiger Optik gesichert. Keine Einzige!

Das Rahmenabkommen ist eine echte Knacknuss, und nächstes Jahr stimmen wir auch noch über die Kündigungsinitiative ab.

Die Strommarktliberalisierung ist bei weitem noch nicht in trockenen Tüchern, auch wenn sie wohl von der klaren Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer unterstützt wird. Eine Volksabstimmung ist etwas Anderes. Es wird eine organisierte Gegnerschaft geben und ich befürchte, dass grosse Teile der Bevölkerung etwas liberalisierungsmüde sind.

Dazu kommt, dass die Wahrscheinlichkeit gross ist, dass wir die Zubauziele in verschiedenen Bereichen, z.B. Wind und Geothermie, nicht erreichen werden.

Zwar las ich unlängst mit grosser Freude, welches enorme Potenzial Schweizer Hausdächer und -fassaden für die Produktion von Solarstrom noch bieten. Ich glaube auch an das Potenzial des Solarstroms. Dies umso mehr, als dass der Solarstrom ja quasi unsere letzte Hoffnung bleibt……! Aber ich sehe auch seine Grenzen.

Wir hören ausserdem die Elcom, die schon seit einer ganzen Weile dafür plädiert, dass (Zitat) «aus Stabilitätsgründen dafür zu sorgen sei, dass ein substanzieller Teil der wegfallenden Winterproduktion aus Kernkraft weiterhin im Inland produziert werde.»

Wir sehen, mit welchen zusätzlichen und ständig steigenden Herausforderungen Swissgrid zu kämpfen hat. Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang einen kurzen Exkurs mit Seitenblick nach Deutschland.

Auf dieser Folie sehen Sie, dass in Deutschland die nachgefragte Leistung während Spitzenzeiten etwa 81 GW beträgt. Die installierte thermische Leistung (Nuklear, Kohle, Gas) betrug im Jahr 2017 rund 91 GW. Zusätzlich waren 115 GW erneuerbare Leistung installiert.

Im Jahr 2017 gab es eine Periode von rund 10 Tagen mit wenig Sonne und Wind, eine sogenannte «Dunkelflaute». Die max. verfügbare Leistung aus den Erneuerbaren betrug 20 GW.

Hier sehen Sie wie sich die Produktion aus den konventionellen Kraftwerken bis 2023 entwickeln wird.

Würde im Jahr 2023 die gleiche Situation eintreffen wie 2017, hätte Deutschland 14 GW Leistung zuwenig. An einem durchschnittlichen Wochentag müssten 100 bis 150 GWh importiert werden (Zum Vergleich: Inhalt Grimselsee beträgt rund 250 GWh).

Auf Folie 3 sehen Sie die Situation im Bereich der Netzstabilität und ihre Auswirkungen auf die Schweiz.

Hier die Entwicklungen der Redispatchmassnahmen von Swissgrid pro Jahr.

Hier nun eine Folie der Preisentwicklung am 28. Februar 2018. Die Preisdifferenz CH/Deutschland betrug bis 80 Euro/MWh. Die Produktion in Deutschland war hoch, deshalb die Preise tief. Der Bedarf in der Schweiz war infolge der sehr kalten Witterung in der letzten Februarwoche hoch.

Warum profitierte die Schweiz nicht von den tiefen Preisen in Deutschland? Weil an der Grenze keine Kapazitäten mehr zur Verfügung standen. Diese waren, infolge attraktiver Marge, durch tiefe Preise in Deutschland und hohe in Italien, ersteigert worden.

Diese Situation wiederholte sich die ersten Märztage und vom 16. bis 19. März 2018, jeweils bei hoher Windproduktion.

(Ganz nebenbei rate ich Ihnen auch noch, einen Blick auf den Produktionsanteil der deutschen Solarproduktion ganz unten zu werfen und diesen auf die Schweiz umzulegen).

Damit ist auch die Aussage jenes Experten zumindest relativiert, der nach der Medienkonferenz von Swissgrid vor rund einem Monat in der Tagesschau darlegte, dass Dank der 41 Interkonnektionspunkte, mit denen die Schweiz mit ihren 4 Nachbarländern verbunden sei, die Netzstabilität kein Problem darstelle und Swissgrid nur dramatisiere.

Soviel zum Thema Netzstabilität und Importmöglichkeiten aus Deutschland in den nächsten Jahren. Mit Deutschland wird also schwieriger. Frankreich hat bisher noch nicht aufgezeigt, wie es seinen Kraftwerkspark erneuern will.

Der CEO eines grossen Energieunternehmens hat es im Dezember in einem Interview gut auf den Punkt gebracht: Wenn alle auf eine Importstrategie umstellen, wäre es gut, wenn jemand eine Exportstrategie hätte…..!

Wenn ich all das soeben Erwähnte berücksichtige, bin ich erstaunt über den Optimismus des Bundesrates. Er scheint bei der Verabschiedung des StromVG davon auszugehen, dass schon alles gut kommen wird.

Meine Damen und Herren: Ich befürchte, dass der Herr es den Seinigen in diesem Fall nicht im Schlaf gibt! Ich wäre da etwas vorsichtiger.

Nun, die UREK–S ist aktiv geworden. Wir haben in der Januarsitzung gegen den Willen des BFE einstimmig eine Kommissionsmotion überwiesen, die den Bundesrat beauftragt, dem Parlament im Rahmen der Revision StromVG eine Marktordnung zu unterbreiten, welche die langfristige Versorgungssicherheit durch eine angemessene Inlandproduktion gewährleistet.

Die Marktordnung soll langfristige Anreize für Investitionen gewährleisten. Sie soll zudem die geforderte Wirkung auch entfalten, falls kein Stromabkommen zustande kommt.

Als zweiter Punkt wurde gefordert, für die Zukunft Klarheit zu schaffen bezüglich Verantwortung für die Versorgungssicherheit. Diese scheint uns nicht mehr gegeben zu sein.

Erlauben Sie mir zum Schluss zwei Bemerkungen zu den beiden Forderungspunkten der Motion. Zuerst zur Verantwortlichkeit.

Eine für die Versorgungssicherheit verantwortliche Behörde analysiert nach meinen Vorstellungen regelmässig die Produktionskapazitäten im Inland, die Entwicklung im Ausland, rechnet die Entwicklung für einige Jahre hoch, hört die Branche an und unterbreitet dem Bundesrat in einem festgelegten Rhythmus Vorschläge, welche konkreten Massnahmen umzusetzen wären (kann auch in Szenarien erfolgen). Setzt die Politik die Massnahmen nicht um, liegt die Verantwortung bei ihr.

Und zur Versorgungsicherheit: Angesichts der sich abzeichnenden Entwicklung bin ich der Meinung, dass wir alles unternehmen sollten, um in erster Linie mal das effektiv noch vorhandene Produktionspotential im Inland ausschöpfen.

Da liegt aus meiner Sicht – und das wird sie wohl nicht wahnsinnig überraschen – auch noch einiges Potenzial bei der Wasserkraft.

Ich meine, das BFE müsste die Berechnung der Ausbaupotenziale der Wasserkraft überarbeiten. Erstens stärker mit dem Fokus, wo bestehende Staumauern erhöht werden können (NR Nordmann). Zweitens wissen wir aus dem NFP Programm 61 «Wasserressourcen Schweiz» seit langem, dass unser Wasserhaushalt im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung aus dem natürlichen Gleichgewicht gerät.

Aus der Klimaforschung wissen wir ziemlich genau, wie es mit der Gletscherschmelze weitergehen wird. Es verschwinden natürliche Speicher und es entstehen neue Seen. Zur Verstetigung des Wasserabflusses und zur Hochwasserbekämpfung wird es im Hochgebirge auch künstliche Seen brauchen.

Ein Teil dieser Seen wird – ohne dass dabei die Natur massiv zusätzlich beeinträchtigt werden muss – auch zur Stromproduktion genutzt werden können (gemäss NFP 61 beträgt das entsprechende Potential bis 50% des heute bestehenden Speichervolumens). Die Nutzung dieses Potenzials steht für mich zuoberst.

Sollte sich die Tatsache bestätigen, dass die Exportfähigkeit unserer Nachbarländer nachhaltig beeinträchtigt sein könnte, ist sehr rasch der Punkt erreicht, wo wir uns der Frage, ob es nicht halt doch das eine oder andere Gaskraftwerk braucht, nicht mehr entziehen können.

Diese Kraftwerke würden – wie dies in Deutschland geplant ist – nicht im Elektrizitätsmarkt eingesetzt, sondern nur für die Netzstabilisierung (wenn die anderen Mittel ausgeschöpft sind). Damit wären wäre die Klimaverträglichkeit kein wesentliches Problem.

Angesichts der bestehenden Planungsinstrumente und der Planungshorizonte in unserem Land, genügt es nicht, die Planung in Angriff zu nehmen, wenn das Problem da ist. Es ist nach meiner Auffassung unumgänglich, in Optionen zu denken und die Planung zeitnah in Angriff zu nehmen. Wenn es sich später herausstellt, dass wir die Kraftwerke nicht brauchen, umso besser.

Gerade dieses Beispiel zeigt, wie wichtig im Zusammenhang mit Netzstabilität und Versorgungssicherheit die jeweiligen Verantwortlichkeiten sind. Nur wenn diese klar und eindeutig geregelt sind, ist auch gewährleistet, dass rechtzeitig gehandelt werden kann.

Die jederzeitige Versorgung mit Elektrizität ist ein elementares Grundbedürfnis einer modernen Wirtschaft und Gesellschaft. Die Kosten eines Blackouts wären gigantisch. Es ist alles zu unternehmen, dass die Versorgung gesichert ist. Dabei muss nach dem Vorsichtsprinzip gehandelt werden. Das Prinzip Hoffnung reicht definitiv nicht.

Schliessen möchte ich mit etwas Positivem; und dabei komme ich noch einmal zum Stichwort Hoffnung: Der Bundesrat beantragt gemäss Entscheid vom 10.4.2019, die Kommissionsmotion der UREK-S anzunehmen.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen alles Gute.